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DMP
Forschung
CAPS
Multimediales Patienteninformierungssystem, PC-basiert (1996)
Multimediales Patienteninformierungssystem (1996)
PISA - Patienteninformierung - einmal anders (1997)



 

Aus der Abteilung für Medizinische und Biologische Informatik des Deutschen Krebsforschungszentrums, Heidelberg (April, 1996)

 

Multimediales Patienteninformierungssystem, PC-basiert

 Hägele M., Sljivljak N., Köhler C.O.

 

Einführung

Wachsende Anforderungen an die Leistungsfähigkeit und Effizienz unseres Gesundheitssystems, die Verschiebung der Diagnosen zu den chronischen Krankheiten und auch die Durchsetzung der informellen Selbstbestimmung der Patienten verlangen nach einem Umdenk-ungsprozeß im Gesundheitswesen. Um diese neuen Gegebenheiten zu berücksichtigen, bedarf es eines Wandels im Denken unserer Gesellschaft. Wir müssen uns daran gewöhnen, den Patienten wieder da hin zu stellen, wo er eigentlich hingehört: In den Mittelpunkt [1].

 

Leider stemmen sich diesem Ziel des Patienten einige Probleme entgegen. Das fängt damit an, daß sich das Gesundheits­wesen immer mehr diversifiziert, so daß es für den Patienten oft sehr schwierig ist die richtige Anlaufstelle für seine Pro­bleme zu finden. Hat er den richtigen Spezialisten gefunden, überfordert dieser ihn oft mit seiner komplexen Fachsprache. Der Patient wird mit medizinischen Begriffen, Untersuchungsmethoden, Diagnosen, Therapiemöglichkeiten konfrontiert, die ihm aber in ihrer genauen Bedeutung oft unbekannt bleiben. Auch ist er im Gespräch mit dem Arzt/Therapeut aufge­regt und die zur Verfügung stehende Zeit ist sehr kurz, so daß er vieles was er sagen wollte und vieles von dem was er gesagt bekommt, vergißt. So beruht die Nichteinhaltung von ärztlichen Verordnungen meist nur darauf, daß die vielen Informationen, die dem Patienten während einer Sprechstunde vermittelt werden, falsch verstanden oder vergessen wer­den [31,170,171]. Trotzdem wird von ihm gesetzlich verlangt, daß er sich für eine Therapiemöglichkeit in Form einer Einverständiserklärung entscheidet. Dies tut er, obwohl wie Untersuchungen ergaben, 54% der Patienten nicht alles verstanden, was sie unterschrieben[193].

 

27% der Patienten einer anderen Studie wußten sogar nicht einmal welches Organ bei Ihnen operiert wurde. 44% konn­ten das Prinzip des chirurgischen Eingriffs nicht nachvollziehen [20]. Das führt dazu, daß der Patient seine Verantwor­tung abgibt und die Behandlungsprozedur nur über sich ergehen läßt. Hier wird aber ein riesiges Potential verschenkt. Denn aktive, informierte und aufgeklärte Patienten werden schneller wieder gesund und können auch besser mit Ihrer Gesundheit/Krankheit leben [2,9,12,27]. Ein solcher Patient könnte dann auch erfolgversprechend in die Qualitätssiche­rung miteinbezogen werden [204].

 

Im sonstigen Gesundheitswesen kann inzwischen kaum noch jemand ohne Rechnerhilfe auskommen. Niedergelassene Ärzte brauchen zur Erfüllung ihrer Aufgaben ein Arztpraxissystem, Krankenhäuser können nicht mehr auf Krankenhaus­informationssystem oder Abteilungssysteme verzichten. Auch der Patient braucht, um seine Gesundheit bestmöglich zu erhalten oder schnellstmöglich wiederzuerlangen ein unterstützendes System.

 

Das multimediale Patienten-Informierungs-System

Das Patienten-Informierungs-System, der erste Schritt auf dem Weg zu CAPS (Computer Aided Patient Support) soll den Arzt ergänzen, ihm die Routineaufklärung abnehmen und dem Patienten individuell Begriffe, Therapiemaßnahmen und komplexe Wirkungszusammenhänge visualisieren.

Dies muß in einer Art und Weise geschehen, daß es leicht zu bedienen ist und dem Patienten Spaß macht, sich um seine Gesundheit zu kümmern. Hier kann ein multimediales System, mit Sound, Animationen, Video und Grafiken helfen [4,32,34]. Gleichzeitig erfolgt die Informationsaufnahme mit einem multimedialen System schneller. Auch bleiben Infor­mationen länger im Gedächtnis, da gleichzeitig mehrere Sinne des Menschen (Ohr, Auge (Standbild und/oder Bewegt­bild)) angesprochen werden.

Als Aufstellungsorte kommen War­tezimmer von Arztpraxen und Therapeuten in Frage, in Krankenhäusern sollte auf jeder Stationen mindestens ein mobiles Patienteninformierungssystem zur Verfügung stehen, um die Bedürfnisse der Patienten nach Information und die Einbe­ziehung des Patienten in den Behandlungsprozeß zu ermöglichen. Hauptziel ist aber das System auch zu Hause per CD-ROM verfügbar zu machen, da man hier noch mehr Ruhe und Zeit hat sich zu informieren.

 

Die Informierungs-System-Entwicklungsumgebung

Es wurde eine Informierungs-System-Entwicklungsumgebung erstellt, die visuell und ohne Programmierkentnisse mit Leben, sprich multimedialen Daten - auch als Ressourcen bezeichnet- , gefüllt werden kann. Ebenfalls wurde entsprechendes Know-How erarbeitet, um Operationen und Wirkungszusammenhänge in Form von 3D-Computeranimationen, die auf jedem windowsfähigen Rechner lauffähig sind, zu erstellen. Animationen in dieser Qualität konnte man bis jetzt nur auf schnellen Workstations bewundern. Ermöglicht wird dies durch die Beschränkung auf 256 Farben und die langen Rechenzeiten die in den Animationen stecken, die aber zum Abspielen nicht mehr notwendig sind.

Sie bringen neuartige Visualisierungsmöglichkeiten auf PC-Ebene, die für Jedermann/frau erschwinglich sind. Durch seine interaktive Multimedialität visualisiert es auch komplexe Operationen einfach und leicht verständlich. So sieht der Patient innerhalb dieser Animationen in ansprechender Form wie die einzelnen Operationen ausgeführt wer­den. Dabei kann er das Prinzip der Operation gut nachvollziehen und wird nicht von medizinischen Fachbegriffen oder unangenehmen Nebenerscheinungen wie Blut abgelenkt. Komplikationen und Risiken werden aufgeführt, Krankheitsbilder auch anhand von Röntgen oder CT-Aufnahmen erläutert.

 

Das Patienten-Informierungs-System lebt vor allem durch seine Visualisierungen durch Animationen und Videos.  Doch gerade bei Bewegtbildern ist der Informationsgehalt sehr groß und deshalb der schnelle, gezielte Zugriff auf Informationen meist sehr schwierig. Deshalb wurde ein Modell entwickelt, das es erlaubt Bewegtbildsequenzen zu verschlagworten, also Informationen in Bewegtbildern über Schlagwörter zu indizieren.

 

Verschlagwortung von  Bildern

Dazu wurde folgendes Objektmodell entwickelt: Jedes Informationsobjekt besteht aus 4 Dimensionen: Thema, X-Position, Y-Position und Zeit-Position. Die X-Pos bzw. Y-Pos bezeichnet die Position auf dem Bildschirm bei der Präsentation wo der verschlagwortete Begriff auftaucht, sei es nun innerhalb eines Textes oder einer Bildstruktur. Der Cursor, der ja in jedem interaktiven System vorhanden ist, wird dabei als Ausgabegerät  - nämlich als Zeigestock - "mißbraucht".

Die Zeit-Position definiert in Bewegtbild-Präsentationsobjekten oder Audiosequenzen die Position innerhalb der Zeit eines Objektes oder auch dir framenummer. So tauchen Objekte in Animationen oder Videos eventuell nur einmal kurz in der Mitte einer Sequenz auf. Man denke nur an eine CT-Schichtobjekt des Kopfes, das als Animation vorliegt. Der Hypothalamus taucht nur in ein paar wenigen Frames in der Mitte der Sequenz auf. Durch die Einführung der Zeitdimension kann auch auf diese sporadisch auftauchenden Regions of Interest indexiert werden oder Hyperlinks gesetzt werden. Die Umgebung dieses Gebildes ist dann durch die restliche Sequenz gegeben und kann durch die Möglichkeiten des Betrachtens von Bewegtbild-Präsentationsobjekten (Einzelbilder vor und zurück, schnell vor und zurück spulen, abspielen) erforscht werden.

 

Das Seitenobjektprinzip

Das Informationssystem selbst basiert auf dem Seitenobjektprinzip. Dieses geht davon aus, daß jede Seite aus einem oder mehreren Objekten besteht. Dabei sind durchaus (je nach Objekttyp) auch mehrere Objekte des gleichen Typs auf einer Seite erlaubt.

Verknüpfungen oder Sprünge können seitenorientiert oder objektorientiert sein. Des weiteren wird davon ausgegangen, daß jedes Objekt oder Inhalte eines Objekts durch textuelle Bezeichnungen repräsentiert werden können. Dieser "Objektname" kann innerhalb einer Auswahlliste als Direktansprungspunkt dienen. Ein Seitenname spezifiziert im Normalfall ein ganzes Themengebiet, das durch Unterseiten noch weiter ergänzt werden kann.

Das Stichwort Hypothalamus könnte also entweder zur Seite mit dem Themengebiet Hypothalamus springen, die wiederum mehrere Objekte umfaßt oder z.B. direkt in ein digitales Video zum Hypothalamus oder aber auf eine bestimmten Bildnummer innerhalb dieses Videos ab dem der Hypothalamus erklärt wird (4. Dimension der Objektinformation).

Jedes Objekt wird durch Anklicken aktiviert und kann dann eine Aktion ausführen. Diese Aktion ist je nach Objekttyp unterschiedlich. Objektaktionen können, wie das z.B. bei Animationen und Videos der Fall ist, um den vorhanden Bildschirmplatz voll auszunutzen, den ganzen Bildschirm erfordern und verdecken dann die vorherige Seite.

Da Objekte immer in eine Umgebung eingebettet sind, nämlich die Seite, gibt es unter Umständen zwei mögliche Sprungaktionen: Den relativen Sprung zurück zur aufrufenden Seite und den Sprung auf die Seite in der das Objekt eingebettet ist, nämlich die Kontextumgebung. Sind diese Seiten identisch, ist das Objekt also aus seiner ursprünglichen Umgebung heraus ausgerufen worden, wird auch die Möglichkeit geboten direkt ins Schlagwortverzeichnis zu springen.

Das Analogon der Umgebung kann auch auf die 4. Dimension (Zeitposition) angewendet werden. Dort ist praktisch die restliche Sequenz die Umgebung für die Region of Interest.

Zur Zeit gibt es in der Eintwicklungsumgebung zum Patienten-Informierungs-System 14 Objekte:

Objektname

Funktion

anim

 für Animationen im fli/flc-Format

bild

 für sensitive Flächen

bildzeig

 zur Bildpräsentation

button

 für Knöpfe

druck

 für ausdruckbare Zusammenfassung Text zum Themengebiet

extern

 für Knöpfe zum Start von externen Programmen

hotspot

 für sensitive Flächen in anim-, bild- oder video-objekten

kartei

 für Themengegliederte Texte

label

 für Seitenbeschriftungen

sound

 für digitalisierte Sprache/Musik, Hintergrundmusik

stufeeins

 für Themengegliederte Seiten

template

 für Objektegruppen, Seitenlöschen,...

verdeck

 zum Verdecken von Elementen

video

 für Videosequenzen

 

Die Datenbank - als Dreh- und Angelpunkt des Systems

Das Informierungssystem besteht aus Ressourcen (wie Animationen, Videos, Texte, Bilder, Audiofiles) einer Datenbank und einem Interpreter.

Der ganze Inhalt des Informierungs-Systems also Steuer, Anordnungs- und Verknüpfungsinformationen des Systems liegen in der Datenbank. Diese wiederum verweist mit Hilfe von symbolischen Pfadnamen auf die entsprechenden Ressourcen. Der Interpreter interpretiert nur den Inhalt der Datenbank. Deshalb sind Interpreter für verschiedenste Aufgaben denkbar. Also z.B. für ein Touchscreensystem unter Windows (bereits realisiert), für ein Infosystem im WWW (gerade in Planung) oder für ein mobiles System. Dabei bleiben die einmal erstellten Ressourcen und die Datenbank jeweils unverändert. Nur der Interpreter muß an die entsprechenden Anforderungen angepaßt werden.

Dadurch ist zum ersten Mal bei einem solchen System eine vollständige Trennung zwischen Daten und Programm möglich. Der Interpreter ist für das Erscheinungbild und die Bedienung der Information zuständig, nicht aber für den Inhalt. Dadurch sind Änderungen, Updates und Ergänzungen am System viel einfacher zu handhaben und zu organisieren. Selbst individualisierte Informierungssysteme, die mit eigenen Inhalten ergänzt wurden bzw. wo Inhalte herausgenommen oder anders angeordnet wurden, können trotzdem gepflegt und upgedatet werden durch die Organisation in einer Datenabank und der Objektorientierung, die jedem Objekt eine globale Identifikationsnumer zuweist.

 

Ausblick

Das Werkzeug und das Know-how um Patienten-Informierungs-Systeme zu bauen ist nun fertiggestellt. Aber die inhaltliche Arbeit geht jetzt erst richtig los: Denn Inhaltlich existiert zur Zeit  nur ein proprietäres System im Bereich der Orthophädie mit den 6 wichtigsten Krankheitsbildern. Der nächste Schritt ist deshalb nun Fachleute wie Ärzte und Therapeuten dafür zu gewinnen Inhalte patientengerecht aufzubereiten und in Zusammenarbeit mit ihnen Animationen und Videos zu erstellen. Ebenso sind Sponsoren zu finden, die die weitere Arbeit und damit die Entwicklung zum mündigen, informierten Patienten unterstützen.

Literatur

[1] Köhler C.O., Das Gesundheitswesen der Zukunft - Probleme der Kommunikation  zwischen Patienten und Systemen. Quintessenz, im Druck.

[2] Mazzuca S.A.: Does Patient education in chronic disease have therapeutic value? Journal Chronic Dis 1982; 35: 521-9.

[4] Kahn G.: Computer-based Patient education: A progess report. M.D. Computing 1993; 10: 93-99.

[9] Brody D.S., Miller S.M., Lerman C.E., Smith D.G., Caputo G.D.: Patient perception of involvement in medical care: relationship to illness attitudes and outcomes. Journal Gen Intern Med 1989; 4: 506-11.

[12] Greenfield S, Kaplan S, Ware J.E. Jr.: Expanding patient involvement in care: effects on patient outcomes. Ann Intern Med 1985; 102:520-8.

[20] Byrnee D.J., Napier A., Cuschieri A.: How informed is signed consent. BMJ 1988;296:839-40.

[27] Mahler H.L., Kulik J.A.: Preferences for health care involvement, perceived control and surgical recovery: a prospective study. Soc Sci Med 1990; 31:743-51.

[31] Morrow D., Leirer V., Sheikh J.: Adherence and medication instructions: review and recommendations. Journal Am Ger Soc 1988; 36: 1147-60.

[32] Sechrest R.: Educating your patient with multimedia. Physicians and Computers. 1991;9(6):18-26.

[34] Ellis L.B.: Computer-based Patient Education. Primary Care 1985;12:547-555.

[170] Ley P.; Comprehension, memory and success of communications with the patient. J-Inst-Health-Educ 1972; 10: 23-29.

[171] Haynes R., Taylor D.: Compliance in Health Care. Johns-Hopkins-Uni-Press 1982; 21: 241-254.  

[193] Saw K.C.; Wood A.M.; Murphy K.; Parry J.R.; Hartfall W.G.: Informed consent: an evaluation of patients' understanding and opinion (with respect to the operation of transurethral resection of prostate). J-R-Soc-Med 1994; 87:143-4.

[204] Davis N.M.; Teaching patients to prevent errors. Am-J-Nurs 1994; 94:17.

Dr. Dipl.-Inform. Med. M. Hägele, Schulweg 8, 83673 Bichl
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